Neuer Ansatz im AC – Trait Aktivierung

Die Konzeption einzelner AC-Aufgaben orientiert sich häufig an pragmatischen Überlegungen oder Ritualen: Terminkollisionen als ein Schwerpunkt lassen sich in Postkörben kaum mehr verdrängen, obwohl der Erkenntnisgewinn mehr als fragwürdig ist. So entstehen häufig AC-Inhalte, weil man „ACs eben so gestaltet“. Die Übung darf nicht der Ausgangspunkt sein – nach dem Motto: „Wir haben nur Zeit für eine Gruppenübung, einen Postkorb und ein Rollenspiel – was können wir denn da hinein packen?“
Eine Theorie für einen mehr regelgeleiteten Entwurf hat zuletzt Lievens mit der „trait activation theory“ vorgeschlagen (Lievens, Keen & Scholaert, 2010; Lievens & Scholaert, 2011). Der erste Ansatz ist zunächst die Überlegung, dass nur bestimmte Aufgaben oder Situationen eine Relevanz für das zu messende Konstrukt haben. So wird in einer Gruppendiskussion unternehmerisches Denken kaum eine Relevanz haben, genauso wenig wie Konfliktfähigkeit in einer Fallstudie.

ac_rollenspielUnterschiedliche situative Stärken von Stimuli

Der zweite Ansatz ist das Konzept der „situativen Stärke“. Damit ist gemeint, dass situative Stimuli stark oder schwach sein können. Wenn sie zu stark sind, verhalten sich alle Personen gleich und es kann nicht mehr differenziert werden, obwohl die Situation eigentlich Relevanz hat. Wenn sich z. B. ein Rollenspieler in einem Mitarbeitergespräch ohne Aufforderung über seine problematische Situation auslässt, dann ist das ein starkes Signal. Im AC würde wohl jeder darauf reagieren – eine Differenzierung zwischen den Teilnehmern ist nicht möglich. Ein schwaches Signal wäre z. B. ein kurzes trauriges Gesicht oder eine kurze Bemerkung. Hierauf werden die Reaktionen der Teilnehmer unterschiedlich sein, und der Grad an Empathie könnte so gut gemessen werden.

Rollenspielertraining, um explizit die Stimuli zu provozieren

Lievens & Scholaert (2011) berichten von einer Studie, bei der die Rollenspieler in der einen Versuchsbedingung speziell darin trainiert wurden, expliziert die Verhaltensprovokationen zu zeigen. In der zweiten Bedingung fand kein derartiges Training statt. In einem Rollenspiel und einer Präsentation wurden durch das Training so die tatsächlich beobachtbaren Verhaltensprovokationen um ein Vielfaches gesteigert.

Eine weitere Studie beschäftigte sich mit den Auswirkungen auf die Reliabilität bzw. die Beobachterübereinstimmungen. In der Studie gab es drei Versuchsbedingungen. In Bedingung eins – niedrige Verhaltensprovokation – gab es keine besonderen Vorkehrungen im Rollenspiel. In Bedingung zwei – mittlere Provokation – wurden die Rollenspieler wie oben geschildert trainiert. In der dritten Bedingung wurden die Beobachter zusätzlich darüber informiert, welche Verhaltensprovokationen die Rollenspieler geplant hatten. Die Reliabilität i. S. der Beobachterübereinstimmung war in der dritten Bedingung am höchsten; die explizite Verhaltensprovokation hilft also, das relevante Teilnehmerverhalten genauer zu erkennen.

obc_grafik_ac-ergebnisMehrere Messungen reduzieren den Fehleranteil

Die Konsequenz aus diesem neuen Ansatz ist es, sehr viel bewusster die AC-Aufgaben daraufhin zu konzipieren, was gemessen werden soll. Dies gelingt, indem je nach Messintention passende und im Sinne der Messfehlerreduktion quantitativ ausreichende Beobachtungszeitpunkte geschaffen werden. Dies ergibt sich aus den Axiomen der Testtheorie. Danach beinhaltet jede Messung einer Eigenschaft – z. B. in einer AC-Aufgabe – immer auch einen Fehleranteil. Der kann einmal positiv ausfallen (die Person erscheint besser als sie ist) oder negativ (z. B. Nervosität). Wenn es mehrere, unabhängige Messungen gibt, und man aus diesen den Durchschnitt errechnet, dann geht in der Theorie der Fehleranteil auf Null. Aber auch praktisch bedeutet dies immer noch eine deutliche Verminderung des Fehleranteils: einmal positiv, einmal negativ heben sie sich auf. Insofern bestand eine Kernidee der AC-Methodik immer in der systematischen, aber auch mehrfachen Provokation eines Merkmals.

LIEVENS, F. & SCHOLLAERT, E. (2011). Adjusting Exercises Design in assessment Centers: Theory, Practice, and Research. In Povah, N., Thornton III, G. C. (Eds.). Assessment Centers And Global Talent Management (pp.47-60).
LIEVENS, F., KEEN, G. & SCHOLLAERT, E. (2010). A novel look at behaviour elicitation in assessment center exercises. Poster session presented at the 25th Annual Conference of The Society for Industrial and Organizational Psychology, Atlanta.

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