Kompetenzmodelle erstellen

Kompetenzmodelle ermöglichen eine unternehmensweit einheitliche und zugleich strategisch orientierte Gestaltung des Performance- und des Talent-Management-Systems einer Organisation.  Kompetenz ist das Vermögen, sich wirksam und erfolgreich mit Leistungsanforderungen auseinanderzusetzen. In den meisten Kompetenzmodellierungsprojekten geht der Blick auf sehr allgemeine Anforderungen, nämlich auf solche, die für sämtliche Tätigkeiten innerhalb einer Organisation oder für Familien von Tätigkeiten von Bedeutung sind. Im ersten Fall ist von One-Size-Fits-All-, im zweiten von Multiple-Job- oder Job-Family-Kompetenzmodellen die Rede (Mansfield, 1996). Leadership-Kompetenzmodelle – sicherlich die am häufigsten entwickelte Gattung der Kompetenzmodelle in Wirtschaftsunternehmen – stellen einen speziellen Fall der Job-Family-Kompetenzmodelle dar.

Agile Welt der Führung einbauen

Seit 2020 ist der Schwerpunkt unserer Projektarbeit die Abbildung von agiler Führungsanforderungen: Dies bringt ganz neue Impulse für die Organisationen. Neue Kompetenzen sind beispielhaft: Hyperawareness, Fast Execution, Mitarbeiterbindung, Customer Delight, Collaboration, Psychological Empowerment.

Kombination normativer und operativer Anforderungen

Der Begriff ‚Kompetenz‘ beinhaltet die Passung der Leistungsmerkmale einer Person zu den Anforderungen gegebener Aufgaben oder Herausforderungen. Daher müssen in der Entwicklung von Kompetenzmodellen beide Seiten betrachtete werden, die Person und die Situation. Mit Blick auf die Situation lassen sich zwei große Anforderungsfelder unterscheiden. Der normative Kontext umfasst Anforderungen, die sich aus der Strategie und den Leitwerten des Unternehmens ableiten lassen. Diese müssen insbesondere dann erfasst werden, wenn das zu erstellende Kompetenzmodell strategisch-zukunftsorientiert oder aber wertebasiert verfasst sein soll (Briscoe & Hall, 1999). Der operative Kontext umfasst die formalen Aufgaben und Ziele, spezifische Anforderungssituationen, die in besonderer Weise als erfolgskritisch gelten (sog. Critical Incidents), und generelle Anforderungsbedingungen, die unabhängig von Zeit und Ort in den Arbeitsalltag hineinstrahlen (bspw. hoher Zeitdruck bei Mitarbeitern in einer Unternehmensberatung).

Dabei sind beide Kontexte nicht unabhängig voneinander: Strategie und Leitwerte legen fest, welche Aufgaben, Ziele, Anforderungssituationen und generellen Anforderungsbedingungen als relevant angesehen werden und deshalb im Zuge der Kompetenzmodellierung Beachtung finden sollten. Auch legt der normative Kontext fest, wie genau in spezifischen Anforderungssituationen agiert werden soll – dieser definiert Best Practices.

Aus den normativen und aus den operativen Anforderungsbedingungen ergeben sich ganz bestimmte Verhaltenserwartungen, d.h. Erwartungen daran, wie die Mitarbeiter eines Unternehmens bzw. einer Job-Familie in ihrem Arbeitsalltag handeln sollen. Diese Erwartungen darzustellen, ist der primäre Sinn und Zweck eines Kompetenzmodells.

Erlernbare Merkmale und Grundpotenziale

Damit das erwünschte Verhalten auch wirklich gezeigt werden kann, müssen den Erwartungen ganz bestimmte Leistungsmerkmale in der Person entsprechen. Mit Blick auf diese Merkmale lassen sich wiederum zwei Gruppen unterscheiden, nämlich veränderliche, also erlernbare Merkmale (Kenntnisse, Fertigkeiten, Einstellungen) und eher stabile Merkmale, die wir als Grundpotenziale bezeichnen (Fähigkeiten, Persönlichkeitsmerkmale, Grundwerte, implizite Motive). Diese Grundpotenziale beeinflussen nicht nur die Möglichkeit, Kenntnisse, Fertigkeiten und Einstellungen zu erwerben und zu festigen; vor allem in neuartigen und stark durch Handlungsdruck gekennzeichneten Situationen nehmen sie auch direkt Einfluss auf das gezeigte Verhalten. In der Literatur werden die Verhaltenspotenziale insgesamt als KSAO – knowledge, skills, abilities, and other characteristics – zusammengefasst.

Aus unserer Sicht ist es wichtig, in Kompetenzmodellierungsprozessen nicht nur die Verhaltenserwartungen zu beschreiben, die sich aus aktuellen und zukünftigen Aufgaben und Herausforderungen ergeben, sondern zugleich auch die notwendigen Potenziale (KSAO’s) zu definieren, die Job-Inhaber mitbringen müssen, um im Kontext der beschriebenen Anforderungen erfolgreich zu sein. Denn gerade die klar und trennscharf definierten personellen Leistungsmerkmale werden im HR Management für die wirksame Ausgestaltung der Auswahl-, Beurteilungs- und Entwicklungsinstrumente benötigt.

Abbildung 1 fasst unseren Ansatz zur Entwicklung von Kompetenzmodellen zusammen (für einen allgemeinen Überblick und für allgemeine Best-Practice-Empfehlungen siehe Campion, Fink, Ruggeberg, Carr, Phillips & Odman, 2011). Sie zeigt die von uns betrachteten Analysefelder und die von uns bevorzugten Analysemethoden. Ferner wird auch die Ableitungslogik deutlich, der wir bei der Entwicklung von Kompetenzmodellen folgen.

CIT immer noch die geeignete Analysemethode

Wir nutzen das als Critical Incident Technique (CIT) bekannte Verfahren (Flanagan, 1951; Marrelli, 2005), um spezifische Anforderungssituationen bzw. generelle Anforderungsbedingungen und die dazu gehörigen Verhaltenserwartungen herauszuarbeiten. Im Kern besteht die CIT darin, in Workshops oder Interviews zuerst bedeutsame gegenwärtige und zukünftige Anforderungssituationen bzw. -bedingungen zu definieren. Im zweiten Schritt gilt es nach Best Practices zu fragen, d.h. nach Verhaltensweisen, die im skizzierten Kontext als effektiv gelten.

Ableitung des Kompetenzmodells aus den Critical Incidents

Nachdem die Anforderungssituationen definiert und die dazugehörigen Verhaltensweisen beschrieben wurden, lassen sich die Best Practices in Kategorien zusammenfassen – es entstehen Bündel von Verhaltenserwartungen, die dann als Kompetenzen in das zu erstellende Kompetenzmodell eingehen (siehe Abbildung). Diese Verhaltensbündel oder Kompetenzen bilden die Oberflächenstruktur des Kompetenzmodells.

Die Oberflächenstruktur hat eine wichtige Orientierungsfunktion für die Führungskräfte und Mitarbeiter der jeweiligen Job-Familie, denn sie macht die allgemeinen Verhaltenserwartungen deutlich. Zugleich verrät die Oberflächenstruktur aber wenig über die personellen Leistungsmerkmale, also die KSAO‘s, die dem erwünschten Verhalten zugrunde liegen. Diese wiederum bilden die Tiefenstruktur des Kompetenzmodells. Sie wird häufig nicht klar definiert, ist aber für die Arbeit des HR Managements von zentraler Bedeutung. Sie ermöglicht die konsistente Ableitung der eingangs erwähnten Ziel- und Erwartungskriterien für die Gestaltungsfelder des HR Managements und, im zweiten Schritt, die konsistente Auswahl oder Entwicklung der entsprechenden Auswahl-, Beurteilungs- und Entwicklungsinstrumente.

Es ist – psychologisches Fachwissen vorausgesetzt – möglich, die Tiefenstruktur aus den definierten Kompetenzen abzuleiten. Und vielfach wird es pragmatisch so gehandhabt. Wir nutzen diese Verfahren in Kompetenzmodellierungsprojekten ergänzend zur Critical-Incident-Analyse, um die Tiefenstruktur der zu entwickelnden Kompetenzmodelle zu erfassen

Literatur

  • Briscoe, J. P., & Hall, D. T. (1999). Grooming and picking leaders using competency frameworks: Do they work? An alternative approach and new guidelines for practice. Organizational Dynamics, Autumn 1999, 37–51.
  • Campion, M. A., Fink, A. A., Ruggeberg, B. J., Carr, L., Phillips, G. M., & Odman, R. B. (2011). Doing competencies well: Best practices in competency modeling. Personnel Psychology, 64, 225–262.
  • Flanagan, J. C. (1954). The critical incident technique. Psychological Bulletin, 51, 327–358.
  • Kleinmann, M., Manzey, D., Schumacher, S., & Fleishman, E. A. (2010). F-JAS – Fleishman – Job Analyse System für eigenschaftsbezogene Anforderungsanalysen. Göttingen: Hogrefe.
  • Mansfield, R. S. (1996). Building competency models: Approaches for HR professionals. Human Resource Management, 35, 7–18.
  • Marrelli, A. F. (2005). The performance technologist’s toolbox: Critical incidents. Performance Improvement, 44(10), 40–44.

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