Neue empirische Studien aus der Wirtschaftspsychologie

Marcus Holzenkamp ist Diplom-Psychologe und Senior-Consultant bei Obermann-Consulting. Er stellt spannende und aktuelle Forschungsergebnisse aus der Wirtschaftspsychologie vor: Es geht zum Beispiel um die Einflussgrößen von Kreativität und Proaktivität oder um die Frage: „Wie hoch sollen die Anforderungen für die Beobachter sein, um eine möglichst hohe AC-Qualität zu erzielen?“

Wann sind wir kreativ und proaktiv

Sabine Sonnentag ist eine der führenden Forscherinnen auf dem Gebiet der Kreativitätsforschung und war Keynote-Speakerin auf der 6. Tagung der Fachgruppe Arbeits- und Organisationspsychologie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in Wien. Sie hielt hier einen sehr interessanten Vortrag zum Thema Kreativität und Proaktivität.
Kreativität und proaktives Handeln variieren auch innerhalb von Personen von Tag zu Tag. Ein und dieselbe Person ist also nicht immer gleich kreativ und proaktiv. Diese Variation ist aber nicht zufällig, sondern hängt von bestimmten Kriterien ab. Da wir Kreativität und Proaktivität jedoch häufig in einer bestimmten Situation oder zu einem bestimmten Zeitpunkt zeigen müssen, ist natürlich die Frage von Interesse, welche Faktoren hier eine Rolle spielen und wie man Kreativität und Proaktivität auf einen bestimmten Zeitpunkt hin fördern kann.
Ein erster positiver Zusammenhang zeigt sich hier zwischen Erholtheit am Morgen und Proaktivität. Weiterhin steigern positive Affekte die Kreativität, wobei jedoch auch negative Affekte einen positiven Effekt haben und die betreffende Person zu mehr Kreativität anspornen können. Weiterhin steigert ein erhöhter Zeitdruck die selbstberichtete Kreativität, allerdings nur bis zu einer bestimmten Schwelle. Ein zu starker Zeitdruck wie auch starke negative Affekte wirken sich also eher hemmend aus. Ein ähnliches Bild zeigt sich für die selbstberichtete Proaktivität.

Insgesamt lässt sich also sagen, dass die individuellen Ressourcen bei Kreativität und Proaktivität eine entscheidende Rolle spielen. Hierzu gehören der eigene Handlungsspielraum sowie das Zusammenspiel von individuellen Stressoren und der eigenen Erholtheit und Vitalität.

Sonnentag: „Heute schon eine gute Idee gehabt?“ – Variabilität von Kreativität, Innovativität und Proaktivität innerhalb von Personen

Anforderungen an die Beobachter – Eine entscheidende Größe für die AC-Qualität?

Martin Kleinmann ist einer der führenden Wirtschaftspsychologen und hat sich mit dem immer wieder diskutiertes Thema der Konstruktvalidität von Assessment Centern (AC), also der Frage, ob in einem AC die zu messen beabsichtigten Konstrukte (z. B. die Kompetenzdimensionen) auch trennscharf gemessen werden, beschäftigt. Hier deuten Forschungsergebnisse häufig darauf hin, dass im Rahmen von ACs eher allgemeine Konstrukte (z. B. Analysefähigkeit und Kommunikationsfähigkeit) und nicht die spezielleren, in dem jeweiligen Verfahren verwendeten Konstrukte gemessen werden. Als Erklärung für diese häufig zu beobachtende geringe Konstruktvalidität werden hauptsächlich zwei Möglichkeiten diskutiert. So geht das „limited capacity model“ davon aus, dass die Beobachter nur eine begrenzte Beobachtungskapazität zur Verfügung haben, wodurch dann bei sehr hohen Anforderungen an die Beobachter die Güte der Beobachtung beeinträchtigt wird. Nach dem sogenannten „expert model“ wird der Ausbildung bzw. dem Training der Beobachter ein starker Einfluss zugeschrieben.
In ihrer Studie haben Wirtz et al. anhand eines Personalauswahl-ACs im Bankensektor mit über 1000 Teilnehmern untersucht, ob die Variation der Anforderungen an die Beobachter einen Einfluss auf die Konstruktvalidität hat. Die Beobachter waren Manager und Psychologen, welche jeweils speziell für das Verfahren geschult waren. Hier wurde also die Expertise der Beobachter konstant gehalten, jedoch variierten die gestellten Anforderungen. Verändert wurde hier jeweils die Anzahl der von in einer Gruppenübung durch einen einzelnen Beobachter zu bewertenden Teilnehmer.
Hierbei konnten sie zeigen, dass sich bei einer geringeren Zahl zu beobachtender Teilnehmer eine höhere Konstruktvalidität ergab.

Was lässt sich hieraus für die AC-Praxis ableiten?

Um eine hohe Konstruktvalidität zu erreichen, sollten die Anforderungen für die Beobachter also möglichst gering gehalten werden.
Darüber hinaus werden verschiedene weitere Erfolgsfaktoren zur Erhöhung der Konstruktvalidität diskutiert. So sollten nur wenige und eindeutig voneinander unterscheidbare Dimensionen gemessen werden. Weiterhin ist es empfehlenswert, Checklisten zur Auswertung zu nutzen, um die Anforderungen für die Beobachter möglichst gering zu halten. Schließlich sollten die Beobachter eine hohe Expertise mitbringen bzw. speziell für das Verfahren geschult werden.

Wirz, Melchers, Kleinmann: Der Einfluss kognitiver Anforderungen und der Expertise von Assessoren auf die Konstruktvalidität von Assessment Centern

Erfolgreicher ist, wer erkennt, was im AC von ihm erwartet wird

Welchen Einfluss hat die soziale Wahrnehmungsfähigkeit auf Erfolg sowohl im Berufsleben als auch auf ein erfolgreiches Abschneiden in Assessment Centern? Dieser Frage sind Jansen et al. nachgegangen. Sie stellen heraus, dass es sowohl in Assessment Centern als auch im Berufsleben von großer Bedeutung ist, die in der jeweiligen Situation verlangten Anforderungen zu erkennen. Wer sich im Job bewusst ist, was von ihm/ihr gefordert wird, erweist sich am Ende als erfolgreicher. Gleiches gilt für die Leistung in Assessment Centern.
Jansen et al. konnten dies mit ihrer Untersuchung zeigen, indem sie AC-Teilnehmer einschätzen ließen, welche Anforderungsdimensionen ihrer Meinung nach im absolvierten AC gemessen wurden. Diese Einschätzung wurde anschließend mit der vom Vorgesetzten eingeschätzten Leistung im Job verglichen. Dabei erwiesen sich Teilnehmer, die die im AC geforderten Dimensionen korrekt einschätzten, sowohl in dem Verfahren als auch im Berufsleben als erfolgreicher. Dies unterstreicht die hohe Bedeutung sozialer Wahrnehmungsfähigkeit.

Jansen, Melchers, Kleinmann, Brändli, Fraefel und König: Welchen Einfluss hat die soziale Wahrnehmungsfähigkeit auf die Kriteriumsvalidität von Assessment Centern?

„Wenn ich an diesen Laden denke, dann empfinde ich nur noch Ärger“

Jan Schilling von der kommunalen Fachhochschule für Verwaltung in Niedersachsen führt in seinem Vortrag auf der Fachgruppentagung aus, dass, wenn Mitarbeiter glauben, ihre Organisation handelt inkonsistent und inkongruent, es sich bei dieser negativen Einstellung um organisationalen Zynismus handeln könnte. Dieser umfasst drei Aspekte: (1) den Glauben, dass es der Organisation an Integrität mangelt; (2) negative Emotionen gegenüber der Organisation; (3) die Neigung zu geringschätzigem und kritischem Verhalten. Dies ist häufig bedingt durch die Vielzahl von Veränderungen, den Organisationen und ihre Mitarbeiter unterworfen sind (downsizing, restructuring, change initiatives). Dass es sich hierbei nicht um ein Randphänomen handelt, zeigen bereits Daten aus den späten 80er Jahren, die einen Anteil von 40% zynischer Mitarbeiter berichten. Aktuell zeigen Angebote wie die Seite „despair.com“, dass Zynismus inzwischen sogar marktfähig ist.
Veränderungen in Organisationen führen aber erwartungsgemäß nicht zwangsläufig zu Zynismus, sondern es müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Die möglichen Ursachen für die Entwicklung von organisationalem Zynismus sind dabei vielfältig. So fühlen sich manche Mitarbeiter nicht eingebunden (prozedurale Ungerechtigkeit) oder sie beklagen distributionale Ungerechtigkeiten (Entlassungen auf der einen und hohe Managergehälter auf der anderen Seite). Andere beklagen vielleicht vom Unternehmen gebrochene Versprechen (psychologischer Vertragsbruch) oder ihnen fehlt schlicht das Vertrauen in das Management. Zynische Mitarbeiter fühlen sich dabei emotional weniger an das Unternehmen gebunden, bringen weniger Leistung und zeigen weniger Eigeninitiative. Interessanterweise ist es aber so, dass diese Mitarbeiter, wenn man sie gezielt anspricht, mehr und bessere Verbesserungsvorschläge machen. Hier schlummert also auch starkes Potenzial.
Schilling, Mehlmann und Milbradt: „Wenn ich an diesen Laden denke, dann empfinde ich nur noch Ärger“ – Korrelate von organisationalem Zynismus

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